Erfahrungsbericht eines Sternenpapas: Wie ich meine Trauer gelebt habe
Mein Name ist Nils, ich bin 35 Jahre alt.
Vor einigen Jahren haben wir unsere Tochter Nina in der 34. Schwangerschaftswoche still zur Welt gebracht.
Ich möchte hier erzählen, wie ich damals mit meiner Trauer umgegangen bin – oder besser gesagt: wie ich sie zuerst verdrängt habe. Und wie wir als Familie, Jahre später, einen Weg gefunden haben, unsere Trauer zu leben und unser Sternenkind in unser Leben zu integrieren.
Sternenpapa Nils denkt auch nach Jahren noch oft mit einem weinenden und einem lächelnden Auge an seine Tochter
Unsere Geschichte
Es war der Moment, den wir uns so anders vorgestellt hatten: statt voller Vorfreude ins Krankenhaus zu fahren, standen wir plötzlich vor der Diagnose, dass das Herz unserer Tochter aufgehört hatte zu schlagen. Meine Frau erfuhr es alleine, beim Termin beim Frauenarzt. Sie schaffte es kaum, mich anzurufen, um mir zu sagen, dass Nina nicht mehr lebte.
Wir fuhren sofort ins Krankenhaus, um die Diagnose überprüfen zu lassen. Doch leider bestätigten die Ärzte die traurige Nachricht.
Ich erinnere mich an diese Stille im Arztzimmer. Meine Frau brach weinend zusammen, ich hielt ihre Hand und wusste in diesem Moment: Ich muss stark sein. Für sie, für uns beide.
„Jetzt darf ich nicht weinen. Ich muss funktionieren.“ Dieser Gedanke ließ mich nicht los. Also schluckte ich meinen Schmerz herunter und organisierte, was es zu organisieren gab: Formalitäten, Telefonate mit unseren Eltern, Recherchen, wie es nun weitergehen würde.
Wir fuhren nach Hause und warteten auf die Wehen. Drei Tage lang. Nichts geschah. Schließlich fuhren wir zur Einleitung zurück ins Krankenhaus. Nach über 24 Stunden begannen die Wehen, und unsere Nina kam.
Ich schaffte es nicht, sie anzusehen oder in den Arm zu nehmen – etwas, das ich bis heute zutiefst bereue. Ich dachte, ich müsste mich schützen, um nicht auseinanderzufallen. Doch damit habe ich mir selbst einen wichtigen Moment genommen.
Die ersten Wochen – Gefangen im Funktionieren
Die Tage danach verschwimmen in meinem Gedächtnis. Ich war in einem Nebel, der mich wie automatisch durch die Stunden trug. Meine Frau lag weinend im Bett, und ich tat alles, um sie aufzufangen. Ich kümmerte mich um Essen, um Anrufe, um Beerdigungsformalitäten.
Alle sagten zu mir: „Sei stark für deine Frau. Du musst jetzt für sie da sein.“ Kein einziger fragte mich: „Wie geht es dir, Nils?“
So verdrängte ich meine eigene Trauer. Ich weinte nicht. Ich erlaubte mir nicht, zu fühlen. Ich war der Fels, der alles trug – nur dass dieser Fels von innen längst zu bröckeln begann.
Der Wendepunkt
Nach einigen Monaten merkte ich, dass ich mich veränderte. Ich war erschöpft, reizbar, manchmal kalt. Freunde, die wieder zum Alltag übergingen, machten mich wütend. Ich fühlte mich unverstanden und gleichzeitig unfähig, über Nina zu sprechen.
Eines Abends sagte meine Frau zu mir:
„Ich habe das Gefühl, ich verliere dich auch noch.“
Diese Worte trafen mich tief. Zum ersten Mal brach der Damm. Ich weinte. Ich sagte laut, dass ich Nina vermisse, dass ich oft heimlich nachts in ihr Kinderzimmer gehe und mich frage, wie es wäre, sie schlafen zu sehen. Zum ersten Mal sprach ich aus, dass auch ich gebrochen war.
Und plötzlich war da etwas Neues: Ehrlichkeit. Nähe. Verbindung.
Wie wir lernten, gemeinsam zu trauern
Von da an begann ein langsamer, schmerzhafter, aber heilsamer Prozess.
Rituale: Jeden Sonntagabend zünden wir eine Kerze für Nina an. Es ist unser Moment, in dem wir ihr nahe sind.
Gespräche: Wir redeten über unsere Schuldgefühle. Meine Frau erzählte, dass sie froh gewesen wäre, wenn ich Nina gehalten hätte. Ich sagte, dass ich nicht konnte – und sie verstand.
Hilfe von außen: Wir fanden eine Trauergruppe. Zum ersten Mal hörte ich andere Väter sprechen. Es tat gut, zu merken: Ich bin nicht der einzige Mann, der weint.
Unser Regenbogenbaby
Zwei Jahre später wurde unser Sohn geboren – unser Regenbogenbaby. Die Schwangerschaft war eine Achterbahnfahrt. Jede Untersuchung, jedes kleine Ziehen brachte uns in Panik. Doch wir hielten durch.
Als er endlich da war, war es kein „Neuanfang“, wie manche dachten. Es war ein neues Kapitel. Er brachte Licht, aber er nahm die Trauer nicht weg. Heute weiß er, dass er eine Schwester im Himmel hat. Manchmal sagt er: „Die Nina passt auf uns auf.“
In solchen Momenten spüre ich, dass wir zwei Kinder haben – eines bei uns, eines bei den Sternen.
Was ich gelernt habe
Auch Väter trauern – auch wenn es nicht immer sichtbar ist.
Stärke heißt nicht, keine Tränen zu zeigen. Stärke heißt, Gefühle zuzulassen.
Trauer ist nichts, das man „hinter sich lässt“. Sie verändert sich, sie wird Teil des Lebens.
Unser Sternenkind bleibt Teil unserer Familie – in Ritualen, in Gesprächen, in unserem Herzen.
Fazit
Ich habe lange gebraucht, um mir einzugestehen, dass auch ich trauere. Dass ich nicht nur „funktionieren“ muss. Heute weiß ich: Es war wichtig, meine Trauer zu leben, sie zu teilen und Nina sichtbar in unserer Familie zu halten.
💜 An alle Sternenpapas: Eure Gefühle sind genauso wichtig. Ihr dürft weinen, lieben, erinnern. Ihr seid nicht allein.

